Die Autor*innenwand #19: Julian Barnes
Romancier, Essayist, Übersetzer und Krimiautor – kaum ein Werk ist so vielfältig wie das des 1946 in Leicester geborenen Julian Barnes, der jetzt seinen 75. Geburtstag feiert.
Das erste Mal lernte ich ihn 1999 kennen, da war ich Assistentin im internationalen Lektorat und schwieg den ganzen Abend vor lauter Ehrfurcht. Wenn ich ihn heute treffe, schweige ich nicht mehr, aber die Ehrfurcht ist geblieben, denn er ist einer der gebildetsten und belesensten Menschen, die ich kenne: Wenn der Begriff nicht so abwertend klänge, könnte man ihn als klassischen Schöngeist bezeichnen, denn in den Schönen Künsten kennt er sich aus – und zwar in allen. Da er aber gleichzeitig Gentleman und freundlich, humorvoll und interessiert ist, sind die Treffen eine große Freude – und ich bin immer noch auf der Hut und versuche, von Themen abzulenken, in denen ich mich nicht auskenne, wie zum Beispiel Oper, Malerei oder Formel Eins (ja, es gibt auch überraschende Leidenschaften).
Von der Bildenden Kunst über die Musik bis hin zu Theater und Literatur – Barnes ist neugierig. Auf das Werk, das er mit Lust an der Erkenntnis studiert, aber vor allem auf die Künstlerinnen und Künstler, die Großes hervorbringen. Ihn interessieren dabei vor allem die Brüche und Niederlagen, der Kampf um Anerkennung, die finanziellen Nöte, die biografischen Besonderheiten, die Ängste und Zweifel und Lieben und Leidenschaften.
Julian Barnes wurde vielfach ausgezeichnet. Er stand dreimal auf der Shortlist des Man Booker Prize, beim vierten Mal endlich gewann er ihn, und zwar 2011 mit dem Roman »Vom Ende einer Geschichte«. Er war auch in Deutschland ein riesiger Erfolg und machte ihn erneut zum Star. Alleine in Deutschland wurde der Roman über 300.000 Mal verkauft. Wie funktioniert Erinnerung, gibt es eine »wahre« Geschichte und wer trägt Verantwortung für biografische Brüche? Das sind die Kernthemen dieses Romans, dessen zweite Hälfte mit immer neuen überraschenden Wendungen aufwartet und der zu einem der 100 »bedeutendsten britischen Romane« gehört.
Und auch in seinem neuesten Buch »Der Mann im roten Rock« geht es um Brüche und unvorhersehbare Wendungen, um Literatur, Malerei, Liebe – und um Medizin. Der überzeugte Europäer Julian Barnes schreibt, was möglich ist, wenn Landesgrenzen nicht die Hauptrolle spielen, wenn Neugier und Zusammenarbeit Erkenntnisse möglich machen.
Ein großes Buch eines der größten Autoren unserer Gegenwart, dem wir als sein deutscher Verlag sehr viel verdanken.
Wir gratulieren Julian Barnes aufs Herzlichste zum Geburtstag. Have a great day, dear Julian. We are happy and proud to be your publisher.
Januar 2021, Helga Frese-Resch