»Die dritte Quelle« – Werner Köhler im Interview
Ihr neuer Roman spielt vor dem Hintergrund der Galapagos-Affäre, die sich im Jahr 1934 auf der Insel Floreana zugetragen hat. Was ist damals passiert?
»Schnell skizziert, wandert ein Paar aus Berlin auf eine unbewohnte Insel aus. Bald gesellt sich eine weitere deutsche Familie, die Wittmers, dazu. Allein dieser Umstand gefällt den Erstbewohnern, Dr. Friedrich Ritter und Dore Strauch, nicht. Als sich kurze Zeit später eine dritte Partei auf Floreana niederlässt, ist es um den Inselfrieden geschehen. Die Baronin (echt oder unecht?) Eloise Wagner de Bousquet und ihre beiden Liebhaber befeuern den Unfrieden. Am Ende führen die Spannungen zu dem, was als Galapagos-Affäre damals die Klatschspalten der internationalen Presse füllte. Die Baronin und einer ihrer Liebhaber verschwinden von einem auf den anderen Tag spurlos und tauchen nie wieder auf, weder tot noch lebendig. Dr. Ritter, bekennender Vegetarier, stirbt an einer Fleischvergiftung und Dore Strauch verlässt die Insel. Ihre Geschichte verliert sich kurze Zeit später in den Kriegswirren von Berlin. Zurück bleiben die Wittmers. Ihre Kindeskinder betreiben bis heute auf der Insel eine Pension. A story bigger than life.«
Wie sind Sie auf die Galapagos-Affäre gestoßen und was hat Sie daran besonders fasziniert?
»Eigentlich ist das ja eine echte Räuberpistole, gut für ein paar Minuten Zeitungslektüre. Aber irgendwie hat mich die Geschichte nicht mehr losgelassen. Ich glaube, weil darin mehr steckt als die bloße Handlung. Am Ende geht es um das Wesen der Literatur. Ich lege dem Protagonisten im Buch einen Satz in den Mund, der meiner eigenen Ansicht entspricht: ›Das Erzählen endet nie.‹«
Inwiefern geht es für Sie in dieser Geschichte um das Wesen der Literatur?
»Ehrlich gesagt, ist mir dieser Gedanke erst während des Schreibens gekommen. Ich leide darunter, dass fiktive Geschichten in letzter Zeit immer häufiger mit der Realität abgeglichen werden. Literatur ist aber nicht dafür da, die Realität eins zu eins abzubilden, sondern dafür, sich Räume zu erschließen, sich darin umzusehen und Dinge geschehen zu lassen, die sich vielleicht in der Realität niemals ereignen würden und doch gerade deshalb für diese wichtig sein können. Es geht doch um die einer Geschichte innewohnende Wahrheit und Wahrhaftigkeit. Will sagen, eine Geschichte kann noch so übernatürlich sein und doch voller für uns nützlicher Wahrheiten stecken. Das fällt in der Rezeption von Literatur zunehmend hinten runter, der reine Spaß am Geschichtenerzählen, am Fabulieren. Und da bietet so eine Grundstory wie die der Galapagos-Affäre, die nur so strotzt von Unwahrscheinlichkeiten, Halbwahrheiten, Erinnerungen, vagen Vermutungen, Lügen und losen Enden, unendlichen Raum. Das Spiel mit dem Was-wäre-wenn, das Verunsichern der Leserinnen und Leser, die Stolperfallen, gerade wenn man glaubt, etwas verstanden zu haben – das alles habe ich beim Schreiben sehr genossen.«
Und wie ist aus der Faszination für die Galapagos-Affäre ein Roman geworden?
»Das hat nun über fünf Jahre gedauert. Und mich auf viele verschlungene Pfade und manchen Umweg geführt. Auch Einbahnstraßen waren dabei. Dann aber, als ich für mich herausfand, dass die Originalgeschichte als Startrampe für einen fiktiven Text taugt, der dann möglicherweise wiederum die tieferliegenden Schichten (Wahrheiten?) der Affäre auszuloten vermag, konnte ich endlich loslegen.«
Wie haben Sie für den Roman recherchiert? Gab es Quellen, Bilder, Funde, die dabei für Sie besonders wichtig waren?
»O Gott, ja. Kaum etwas ist so gut dokumentiert, wie die Galapagos-Affäre. Unzählige Artikel, sogar eine Hollywood-Dokumentation und viele, viele Bücher sind dazu erschienen. [...] Das allermeiste davon habe ich wohl gelesen. Gelesen, um mich dann von all dem Ballast zu befreien und meine eigene Geschichte zu erzählen. Die Faszination liegt bei dieser Geschichte darin, dass sich die Geschehnisse von damals eben niemals werden aufklären lassen, egal wie viele Bücher geschrieben werden. Das Offene darin, das fasziniert mich. In diesem Raum kann Literatur entstehen.«
In Die dritte Quelle verschlägt es den vierundsechzigjährigen Hamburger Harald Steen nach Floreana, wo er der Geschichte seiner Familie auf die Spur kommen will, die in die Galapagos-Affäre verstrickt war. Wer ist dieser Harald Steen?
»Ich will nicht zu sehr spoilern. Aber ich kann sagen, dass es sich bei Steen um einen Einzelgänger, nicht aber um einen einsamen Menschen handelt. Ein Außenseiter, der die Regeln der Gesellschaft stets befolgt hat, ohne selbst aktiv an ihr teilzunehmen. Nach dem Tod seiner Mutter bricht er alle Zelte ab und begibt sich auf seine letzte Reise. Auf, in ein großes Abenteuer. Die Frage ist: Was wird er finden, was nimmt er mit? Wie wird er sich da draußen schlagen, außerhalb seiner Komfortzone?«
Die Ereignisse auf Floreana wurden nie vollständig aufgeklärt, es ranken sich unzählige Theorien, Mythen und Erzählungen um sie. Und auch Steen muss sich auf der Suche nach den Spuren seiner Familie immer wieder fragen, wem er eigentlich glaubt, wem er vertraut. Ist das etwas, was Sie an diesem Stoff besonders interessiert hat, die Frage: wessen Erzählung, wessen Wahrheit zählt?
»Unbedingt. Und was mich vor allem interessiert, ist die im Grunde noch generellere Frage: Sollen wir uns nicht selbst in diese Skepsis einbeziehen? Können wir uns selbst vertrauen? Ist es wirklich richtig, die eigenen Erinnerungen absolut zu setzen, also als gelebte Realität anzuerkennen? Es ist die Frage nach der Fiktionalität unseres Gehirns, der ich schon in meinem Roman Drei Tage im Paradies nachgespürt habe. In diesem Sinne ist es für die Leserinnen und Leser auch wichtig, ob sie eigentlich Steen vertrauen können oder wollen. Ob sie ihn als Identifikationsfigur wirklich brauchen, oder ob sie sich für 430 Seiten aus ihrer Komfortzone herauswagen und das Taumeln und Flirren einer Erzählung genießen wollen.«
Was macht für Sie den Reiz der Insel aus? Und wie haben Sie sich diese erschrieben?
»Ganz formal habe ich natürlich sehr viele Fotos angeschaut, die Berichte bezüglich Fauna, Flora, Wetterbedingungen und Jahreszeiten studiert und so weiter. Ich bin grundsätzlich gerne erst einmal sehr gut informiert. Von festem Grund lässt sich dann in fiktive Räume starten. Einmal begonnen, interessieren mich die Fakten nicht mehr, wohl aber die Wahrhaftigkeit der Personen. Im Grunde kann man sagen, dass es mein Anliegen ist, den festen Grund, auf dem wir alle scheinbar stehen, schreibend etwas zu destabilisieren. Und das klappt auf Floreana sehr gut.«
Vielen Dank, Werner Köhler!