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Drei Fragen an Orry Mittenmayer »Ausgeliefert«

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© © Fiona Körner

Flexible Arbeitsbedingungen, schnelle Einarbeitung, niedrigschwelliger Einstieg, dafür werben Lieferdienste. Welche persönlichen Gründe waren es, die Sie dazu bewogen haben, als Rider zu arbeiten?

Hauptsächlich, weil ich meinen Bildungsaufstieg finanzieren wollte. Ich war damals an einem dunklen Punkt in meinem Leben: Ich wurde durch eine Kündigung meinerseits von der Agentur für Arbeit gesperrt und brauchte dringend schnelles Geld, wenn ich nicht zum einen meine Wohnung verlieren wollte und zum anderen, um meinen lebenslangen Traum, das Abitur zu machen, nicht endgültig zu begraben. Gleichzeitig war es für mich unglaublich attraktiv, dass Lieferdienste damals mit einem unkomplizierten Bewerbungsprozess Werbung machten. Das hieß für mich in der Schlussfolgerung: Kein Geld ausgeben für Bewerbungsfotos, ordentliche Klamotten und keine Versandkosten, keine diskriminierenden BewerbungsfragenDass ich dabei aber in eine Honigfalle tappen würde, sollte mir erst klar werden, als es zu spät war, auszusteigen.

Sie schildern in Ihrem Buch »Ausgeliefert« zahlreiche Arbeitsrechtsverstöße durch Lieferdienstunternehmen. Was war die größte Ungerechtigkeit, die Sie als Rider selbst erlebt haben oder von der Sie gehört haben?
Und wie können Betriebsräte und Gewerkschaften dagegen wirken?

Ich muss bei dieser Frage immer an zwei ganz bestimmte Situationen denken: Wie ich einmal einen Kollegen mit einer handfesten Lungenentzündung im stürmischen, nassen November während einer Schicht traf und er zu mir meinte, dass er keine andere Wahl habe. Die Miete, die Lebenskosten müssten gestemmt werden. Wie schlimm müssen die Arbeitsbedingungen sein, dass keine Rücksicht auf die eigene Gesundheit genommen werden kann? Die andere Situation war im Winter 2017 als vielen Ridern bei meinem damaligen Fahrradlieferdienst die Gehälter nicht ausgezahlt wurden und sie mit einem kleinen Weihnachtsgeld vertröstet werden sollten. Im Grunde war das der Zeitpunkt, an dem der Arbeitskampf der Rider ihren Lauf nahm. 
Aber wie können Gewerkschaften dem entgegenwirken? Es ist kein Geheimnis, dass die Lieferdienste überwiegend fest im Niedriglohnsektor verankert sind und genau da kommen die Gewerkschaften ins Spiel, etwa mithilfe von erfolgreich abgeschlossenen Tarifverträgen. Auch Betriebsräte sind unglaublich wichtig, denn so können Menschen, die vorher nichts zu sagen hatten, mitentscheiden, wie sich der Alltag am Arbeitsplatz gestaltet. Schließlich sind wir eine Demokratie und in der Demokratie darf es keine blinden Flecken geben. 

Hand aufs Herz: Bestellen Sie manchmal selbst bei Lieferdiensten? Und was können wir tun, um Rider als Kund:innen zu unterstützen? 

Aber natürlich und daran ist auch nichts Verwerfliches. Vor allem bin ich ein entschiedener Gegner einer individualistischen Kritik. Vielmehr sollten wir uns darauf konzentrieren, enormen Druck auf die Lieferdienste auszuüben, dass jegliche Arbeit eine anständige Entlohnung verdient, die ein würdevolles Leben ermöglicht. Was wir alle tun können? Liegt eigentlich auf der Hand: Gewerkschaftsmitglied werden und echte Solidarität leben. Und die Rider freuen sich immer über ein großzügiges Trinkgeld, denn das kann häufig einen entscheidenden Einfluss darauf haben, wie viel man am Ende unterm Strich übrighat. 

 

Fiona Körner
© Fiona Körner
Orry Mittenmayer

Orry Mittenmayer, geb. 1992, ist ausgebildeter Buchhändler und Politikwissenschaftler (B.A.) und lebt seit seiner Geburt mit einer Hörbehinderung. Er setzt sich im  Gewerkschaftskontext ehrenamtlich für mehr demokratische Mitbestimmung ein und legt dabei einen besonderen Fokus auf den Niedriglohnsektor. ZEIT Campus wählte ihn 2018 zu einem der 30 wichtigsten Aktivist:innen unter 30, als Mitgründer der Kampagne »Liefern am Limit« erhielt er 2019 den Hans- Böckler-Preis der Stadt Köln.

Zum Autor Bücher von Orry Mittenmayer