»Falsche Freunde« - Wolfgang Schorlau im Interview
Über die Besonderheiten & Überraschungen der Destination Venedig
Venedig ist ein Disneyland für Superreiche. Das hört sich erst einmal absurd an. Wie seid ihr auf das Thema gestoßen?
Leider ist es nicht erfunden. Heute ist die Stadt zu weiten Teilen bereits ein Freiluftmuseum für einen ausufernden Tourismus. Jahr für Jahr leben immer weniger Venezianer in Venedig. Stattdessen werden Luxushotels gebaut. Wohnungen sind für normal verdienende Menschen, wie für unsere Figur Ferruccio Zolan, unerschwinglich geworden. Schön, dass Commissario Morello eine Idee hatte, ihm zu helfen.
Wenn viel Geld zu verdienen ist, dann ist das Thema Korruption auch nicht fern. Welche Rolle spielt das Thema immer noch in Italien?
Wo viel Geld unterwegs ist, ist Korruption gleich um die Ecke. Das ist überall so, auch in Italien, aber nicht nur dort. Wissen Sie, ich lebe in Stuttgart. Stuttgart 21 - Sie erinnern sich – aber das ist eine andere Story.
Morello muss auch bei seinem dritten Fall wieder um sein Leben bangen. Ist er jetzt noch nicht einmal mehr in Venedig sicher?
Auf Morello wird geschossen. Der arme Kerl tut mir manchmal leid, aber das ist unser Beruf: Einer Figur, die wir lieben, unverdientes Leid zufügen. Aber, vielleicht ist das ein Trost, in der letzten Sekunde retten wir ihn - und zwar immer. Das geht in diesem Buch übrigens auch Anna Klotze so, unserer weiblichen Hauptfigur. Erst in der letzten Sekunde, ach was, in der allerletzten Zehntelsekunde entkommt sie dem Tod.
Spielt die Mafia wieder eine Rolle?
Die Mafia ist Morellos Trauma. Er steht auf ihrer Todesliste. Er hasst Francesco Domenico Marino, den Boss der Bosse der Cosa Nostra. Sein Lebensziel ist es, diesen Mann hinter Gitter zu bringen. Gerade als wir das Manuskript zu diesem Buch abschlossen, meldeten die Agenturen eine Sensation: Matteo Messina Denaro, der wirkliche Boss der Boss und unsere Vorlage für Marino, wurde in Palermo verhaftet. Dies erforderte noch einige Korrekturen an den Druckfahnen.
Eure Krimis kann man (fast) als Reiseführer für Venedig benutzen. Dürfen wir bei den Ermittlungen neue Orte kennenlernen und wenn ja, welche sind dies?
In „Der freie Hund“ haben wir Venedig dekonstruiert und gewissermaßen neu zusammengesetzt. Diesmal geht die Reise in Flecken, in denen sich üblicherweise keine Touristen verirren: das Quartier Santa Marta zum Beispiel.
Mit welchem venezianischen Gericht könnte man Morello, Liebhaber der sizilianischen Küche, überzeugen auch Venedig ins (kulinarische) Herz zu schließen?
Als Morello von Sizilien nach Venedig versetzt wurde, rief ihn seine Mutter täglich an. Sie machte sich Sorgen um die Ernährung ihres Sohnes. „Können die dort oben im Norden überhaupt richtig kochen? Kennen die am Fuße der Alpen überhaupt Auberginen?“, fragte sie. „Soll ich dir nicht besser ein paar Portionen Pasta alla Norma schicken?“ Mittlerweile hat Morello sich an die venezianische Küche… gewöhnt - ist vielleicht ein zu starkes Wort. An einer Stelle in „Der Tintenfischer“ sagt er, aufgrund der venezianischen Vergangenheit als maritimer Macht, würden die Venezianer alles essen, was unter der Meeroberfläche schwimmt oder kriecht. Im Augenblick schwärmt er von Sarde in Saòr; frittierte Sardinen auf geschmorten Zwiebeln plus Rosinen und Pinienkernen. Sie sehen: er lässt es sich auch Venedig gut gehen – trotz aller Gefahren.
Die Autoren
Wolfgang Schorlau lebt und arbeitet als freier Autor in Stuttgart. Neben den zehn »Dengler«-Krimis »Die blaue Liste«, »Das dunkle Schweigen«, »Fremde Wasser«, »Brennende Kälte«, »Das München-Komplott«, »Die letzte Flucht«, »Am zwölften Tag«, »Die schützende Hand«, »Der große Plan« und »Kreuzbergblues« hat er die Romane »Sommer am Bosporus« und »Rebellen« veröffentlicht. 2006 wurde er mit dem Deutschen Krimipreis, 2012 und 2014 mit dem Stuttgarter Krimipreis sowie 2019 mit dem Stuttgarter Ebner Stolz Wirtschaftskrimipreis ausgezeichnet.
Claudio Caiolo wurde ein Sizilien geboren und besuchte 1988 bis 1993 die Theaterschule Avogaria in Venedig. 1996 zog er nach Stuttgart und gründete mit Holger Krabel die Theatergruppe LaoTick und schrieb, inszenierte und spielte viele Theaterstücke für Kinder und Erwachsene. Zusammen mit Stefan Jäger schrieb er mehrere Drehbücher für Filmproduktionen.