Der Hermann Kesten-Preis geht an Günter Wallraff
Furchtlos für die Meinungsfreiheit gegen alle Widerstände: Der Hermann Kesten-Preis des deutschen PEN-Zentrums geht 2020 an den Autor Günter Wallraff. Die Auszeichnung ist mit 10.000 Euro dotiert. Die unabhängige ägyptische Online-Zeitung "Mada Masr" und ihre Chefredakteurin Lina Attalah erhalten den Hermann Kesten-Förderpreis. Die Verleihung beider Preise findet (Pandemie-beding mit einem Jahr Verspätung) am 18. November 2021 um 19 Uhr im Kleinen Haus des Staatstheaters Darmstadt statt. Durch den Abend führt der Jurist, Publizist und Moderator Michel Friedman.
Ralf Nestmeyer, Vizepräsident des deutschen PEN-Zentrums: »Mit Günter Wallraff ehren wir einen der engagiertesten deutschen Autoren der letzten Jahrzehnte. Mit bewundernswertem Mut und großem persönlichem Einsatz hat er sich immer wieder für die Meinungsfreiheit sowie für politisch verfolgte Autorinnen und Autoren wie beispielsweise Salman Rushdie oder Julian Assange eingesetzt. Seine Lebensleistung verdient unsere aufrichtige Bewunderung.«
Hessens Kunst- und Kulturministerin Angela Dorn ergänzt: »Günter Wallraff ist ein Phänomen. Er zeigte uns die fragwürdigen Recherche-Methoden des Boulevard-Journalismus, ließ uns erschreckend tief blicken in die menschenverachtenden Arbeitsbedingungen eines so genannten Gastarbeiters, nahm uns mit in den harten Alltag von Paketdienstleistern und Flugpersonal. Es gibt das schwedische Wort ›wallraffa‹ für verdecktes journalistisches Arbeiten und das Grundsatzurteil ›Lex Wallraff‹, das solches Vorgehen juristisch schützt. In einer Zeit, in der leider Journalistinnen und Journalisten immer mehr angefeindet werden, ist sein mutiges Aufzeigen von Missständen ein Vorbild. Für ebenso unerschrocken halte ich Chefredakteurin Lina Attalah und ihr Redaktionsteam. Sie berichten kritisch über ihre Entwicklungen in Ägypten und wehren sich gegen Zensur und Einschüchterungen. Der Preisträger und die Preisträgerin lassen uns hinsehen, wenn Unrecht geschieht, und stoßen Veränderungen an. Ich gratuliere ihnen herzlich zur Auszeichnung.«
Günter Wallraff hat mit Reportagen über diverse Großunternehmen, die BILD-Zeitung, die Lebenssituation türkischer Gastarbeiter sowie über Obdachlose und Rassismus wirkungsvoll politische und gesellschaftliche Missstände angeprangert. Wiederholt ist der Schriftsteller in die Türkei gereist und hat die Freilassung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Tageszeitung »Cumhuriyet« sowie anderer inhaftierter Medienschaffender gefordert. Zuletzt hat er die Initiative www.assange-helfen.de ins Leben gerufen, die medienwirksam für die Entlassung des inhaftierten WikiLeaks-Gründers Julian Assange eintritt.
(Quelle: Pressemitteilung PEN-Zentrum Deutschland e.V., Darmstadt / Wiesbaden, 29. Juli 2020)
Die Historie des Hermann Kesten-Preises
Anlässlich der Vollendung des 85. Lebensjahres seines Ehrenpräsidenten Dr. h. c. Hermann Kesten stiftete das PEN-Zentrum Deutschland 1985 eine Hermann-Kesten-Medaille für besondere Verdienste um verfolgte Autoren im Sinne der Charta des Internationalen PEN. Sie wurde bis 1993 alle zwei Jahre verliehen, ab 1994 wird sie jährlich vergeben. Die Auszeichnung wurde 2008 in Hermann Kesten-Preis umbenannt. Erstmals im Jahr 2000 stiftete das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst ein Preisgeld in Höhe von 10.000 Euro.
Hermann Kesten, 1900 im Kreis Tarnopol an der Ostgrenze des einstigen österreichischen Kronlandes Galizien geboren, in Nürnberg aufgewachsen, emigrierte 1933 nach Frankreich, 1940 floh er vor den anrückenden Nazi-Truppen in die USA. Hier engagierte er sich, zusammen mit Thomas Mann, in dem von amerikanischen Schriftstellern gegründeten „Emergency Rescue Committee“ für die Rettung deutschsprachiger Schriftsteller. Nicht wenige unter ihnen verdanken seinem unermüdlichen Einsatz die Rettung aus Europa, ja die Rettung vor der Gestapo. Kesten beschaffte Notvisa, das Geld für die Schiffspassage und die für den Aufenthalt in den USA unerlässlichen Affidavits. Dankes- und Bittbriefe prominenter Exil-Autoren befinden sich zahlreich in der von Kesten 1964 herausgegebenen Sammlung „Deutsche Literatur im Exil“.
Der Preis würdigt Persönlichkeiten, die sich im Sinne der internationalen PEN-Charta in besonderer Weise für verfolgte und inhaftierte Schriftsteller und Journalisten einsetzen.