Lektorin Mona Leitner über den Roman »Weiße Wolken«
Liebe Blogger:in,
es wird dich nicht überraschen, wenn ich schreibe, dass ich sehr, sehr viele Manuskripte lese. Es ist leicht, das zu romantisieren: ein Schreibtisch voller Geschichten und ich dahinter, eine Schatzsucherin auf einem leidlich ergonomischen Bürostuhl. Nicht immer löst sich das romantische Versprechen in der Wirklichkeit ein, aber es gibt sie, diese große Glücksmomente. Wenn man auf einen Text stößt, der so besonders, so faszinierend eigen ist, der Themen auf eine Art literarisch bearbeitet, die man so noch nicht gelesen hat. Von einem solchen Text möchte ich dir heute erzählen.
Yandé Seck hat einen Roman über zwei Schwarze Schwestern in Deutschland geschrieben. Sie hat einen Roman über unsere Gesellschaft geschrieben, über den ihr innewohnenden Rassismus und Sexismus, einen Roman über die Möglichkeit, den eigenen Lebensentwurf produktiv zu hinterfragen, über die Unmöglichkeit, als Mutter all die Ansprüche zu erfüllen, die an einen herangetragen werden. Ja, das sind viele Themen. Es ist eine irre Kunst, all das in einen Text zu gießen, der von der ersten Seite an einen unglaublichen Sog entwickelt, der klug und vielschichtig und noch dazu unterhaltsam ist. Der es schafft, verschiedene und teils divergente Perspektiven anhand der Figuren auf eine Weise zu verhandeln, die erhellend und berührend zugleich ist. Das Ganze hat einen extrem versöhnlichen Gestus – und das ist so überraschend wie tröstlich, vor allem in diesen Zeiten, in denen ein Dialog zwischen Andersdenkenden oft unmöglich scheint.
Yandé Seck promoviert zu Mutterschaft, Migration und Psychoanalyse und ist Therapeutin für Kinder und Jugendliche. Mit einer Psychoanalytikerin über Figurenentwicklung zu sprechen ist etwas ganz Besonderes. Ich habe so, so viel gelernt, ohne mich je belehrt zu fühlen (weder vom Text noch von der Autorin). Deshalb wünsche ich diesem Roman sehr, dass er gelesen wird. Erst einmal von dir, dann von möglichst vielen Menschen da draußen.
Vielleicht trägt dieser Text dazu bei, das würde mich freuen.
Herzliche Grüße,
Mona Leitner