Fünf Fragen an Tom Hillenbrand
Nach »Der Kaffeedieb« ist »Die Erfindung des Lächelns« Ihr zweiter historischer Roman. Was reizte Sie am Paris des Jahres 1911 und dem Schauplatz Louvre?
Für mich gibt es keine faszinierendere Epoche dieser Stadt. ‚Paris war, wo sich das 20. Jahrhundert befand’, hat Gertrude Stein gesagt, und das stimmt. Das war damals wirklich die Hauptstadt der Welt, literarisch, künstlerisch, modisch, technologisch. Alle waren sie dort, von Picasso bis Poincaré, von Curie bis Strawinsky.
Die Stadt muss eine wahnsinnige, magnetische Energie besessen haben. Gleichzeitig gab es viel Gewalt und Elend. Straßengangs, so genannte Apachen, terrorisierten die Vorstädte, anarchistische Revolutionäre sprengten Banken in die Luft. Gleichzeitig wurden in den Folies Bergères dekadente Feste gefeiert.
Auch der Louvre war ein einziger Widerspruch. Ehemaliger Königspalast und Sammlung erlesenster Kunst. Gleichzeitig war der ganze Laden verrottet, überall tropfte es durch die Decke. Die Museumswächter waren größtenteils kriegsversehrte Alkoholiker. Die Leute fragten sich, ob nicht irgendwann mal jemand ein teures Gemälde klauen würde. Und genau das ist dann ja auch passiert.
Im Zentrum steht ein Verbrechen. Worum geht es?
Es geht um den Diebstahl der Mona Lisa oder wie sie in Frankreich heißt: La Joconde. Im Sommer 1911 verschwand das Bild aus dem Louvre. Schnell wurde klar, dass der Dieb einfach reinmarschiert war, die Joconde von der Wand genommen hatte und wieder hinausspaziert war. In dem fraglichen Saal war nicht mal ein Wächter gewesen.
Das verursachte einen weltweiten Aufruhr. Das berühmteste Museum der Welt wurde zum Gespött der Presse. Das gleiche galt für die Polizei, die keinerlei Spur besaß. Eine Schande für das stolze Frankreich!
Erst zwei Jahre später tauchte die Mona Lisa wie durch ein Wunder in Florenz wieder auf. Was dazwischen mit dem Gemälde geschah, weiß man bis heute nicht genau. Das fand ich schade. Deshalb habe ich mir eine Lösung ausgedacht.
Was macht den Raub der Joconde so besonders?
Bevor die Mona Lisa gestohlen wurde, war sie allenfalls Kunstliebhabern bekannt. Zum berühmtesten Gemälde der Welt wurde sie erst durch den Raub oder anders gesagt: Erst durch ihr Verschwinden wurde sie allgegenwärtig.
In gewisser Weise war die Joconde das vielleicht erste Meme der Geschichte. Dass es damals überhaupt keine Spur gab, beflügelte die Fantasie der Leute. Es kursierten Postkarten mit der Mona Lisa vor der Freiheitsstatue, Unterschrift: »Sie ist überall.« Andere Bilder zeigen sie in einem Fiaker, der Kutscher sah aus wie Leonardo da Vinci. Es gab Mona-Lisa-Chansons, sogar ein Mona-Lisa-Abführmittel — Mona-Mania allerorten!
Pablo Picasso, Aleister Crowley, Isadora Duncan, Guillaume Apollinaire – ein illustres Personal versammeln Sie in Ihrem Roman. Ist das historisch verbrieft?
Ja, die lebten zu der Zeit alle in Paris. Den damals noch völlig unbekannten Picasso und seinen Busenfreund Apollinaire hielt man zeitweilig sogar für die Köpfe einer internationalen Bande von Kunstdieben und verdächtigte sie, die Mona Lisa geklaut zu haben. Duncan galt seinerzeit als innovativste Tänzerin der Welt, und erfreute das bürgerliche Publikum mit ihren Darbietungen, gerne auch mit wenig Stoff am Leib. Und der berüchtigte Satanist Aleister Crowley stolzierte in einem himmelblauen Knickerbockeranzug die Boulevards rauf und runter.
All diese Leute kannten einander, zumindest flüchtig – und das spielt in meinem Roman eine große Rolle. Das Schicksal all dieser Figuren habe ich mit dem des berühmten Bilds verknüpft.
In »Die Erfindung des Lächelns« schöpfen Sie aus dem Vollen: es geht um Malerei, Kunst, Literatur, die Kunstszene, Mode und nicht zuletzt um Täuschung, Fälschung und um große Geheimnisse. Wie haben Sie recherchiert und wie viel Spaß hatten Sie dabei?
Schon lange hat mir keine Recherche mehr so viel Freude bereitet. Natürlich war ich in Paris und habe mir alle Schauplätze angeschaut, außerdem Biografien und Geschichtsbücher gelesen. Aber besonders gut erschlossen hat sich mir das Paris der späten Belle Epoque durch zeitgenössische Fotografien und durch Gemälde von Paris-Chronisten wie Lautrec, Béraud oder Pissarro. Die fangen die damalige Stimmung in einer Weise ein, wie es Fotos kaum vermögen.
Außerdem habe ich mich wahnsinnig in einige der Figuren verliebt und sehr viel darüber nachgedacht, wie sie vielleicht mit der Geschichte zusammenhängen könnten. Was ist zwar aberwitzig, aber dennoch vorstellbar? Vor allem Picasso und Apollinaire sind mir ans Herz gewachsen. Auf der einen Seite der visionäre, aber oft wortkarge und brütende Maler. Auf der anderen der polternde, eloquente und barocke Dichter und Pornograph. Die zwei müssen ein Wahnsinnsgespann gewesen sein. Da wäre man gerne im Café Dôme oder im Café de la Paix dabeigesessen.